Osama würde gerne mal Frau Aras treffen
Bei Riva arbeitet ein syrischer Azubi, er liefert ein Beispiel für gelungene Integration.
„Der Osama ist ein Schaffer“, sagt Sven Meyer. Der Ausbildungsleiter der RIVA GmbH Engineering ist schon ein bisschen stolz auf seinen Lehrling, der im Sommer 2020 als einer der besten in der Berufsschule die Frühauslerner Prüfung ablegen will. Osama Hassan ist Kurde und stammt aus Syrien. 2013 flüchtete er zu Fuß in die Türkei, versteckt im LKW nach Bulgarien und schließlich nach Deutschland. Der damals schon zwei Jahre andauernde Bürgerkrieg hatten den Mathematikstudenten aus Aleppo vertrieben.
Nach einer Odyssee über Dortmund, wo er in einem Flüchtlingslager mit einem Iraker und einem Pakistani in einem Zimmer untergebracht ist, landet der heute 27-Jährige nach zwei Jahren und mit dem Erhalt einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung in Stuttgart-Feuerbach. Verwandte leben hier im Süden. Gestrandet in der Perspektivlosigkeit, der mancher, vom Krieg traumatisierte Geflüchtete nicht entfliehen kann, entwickelt Osama Ehrgeiz. Lernt in Privatkursen und über YouTube-Tutorials auf eigene Faust Deutsch, weil ihm der Zugang als Flüchtling zum geförderten Kurs zunächst verweigert wird. A1-Niveau. Es reicht, um in einem Kiosk zu jobben und die eigenen Sprachkenntnisse weiter zu verbessern. Dann folgen endlich staatlich Deutschkurse.
Es geht dem Ältesten von fünf Geschwistern wie vielen Fremden hierzulande. „Deutsch ist eine schwierige Sprache“, sagt der Einser-Lehrling, der nach den IHK-Prüfungen als Industriemechaniker bei RIVA arbeiten will. Aber Osama bleibt dran. Lernte inzwischen sogar Schwäbisch und weiß, dank seines Mentors Meyer, was ein „Muggaseggele“ ist. Die kleinste Maßeinheit, der Schwaben.
Osama Hassan mit seinem Ausbildungsleiter Sven Meyer (v.l.).
In Feuerbach erfährt Osama 2015 über einen Freund, dass Porsche Einstiegsqualifikationen anbietet, er bewirbt sich und wird genommen. Seine Betreuerin, Dörthe Hofmann, von der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart hilft dem begabten jungen Mann bei seinen Bewerbungen. Doch der Autobauer bietet ihm keine Lehrstelle an. Sie ist es auch, die die Ausbildungsstelle bei RIVA findet und den Kontakt herstellt.
Beim Backnager Konstruktions-Unternehmen arbeiten Menschen aus aller Welt. Mehr als zwei Dutzend Nationalitäten finden sich unter den mehr als 300 Beschäftigten. Als Osama erkennt, an welchen Projekten der Mittelständler arbeitet, ist er sich sicher, einen passenden Ausbildungsbetrieb gefunden zu haben. „Es fasziniert mich, zu sehen, was für Gebäudeteile hier für Mekka entwickelt und gefertigt werden“, so der angehende Facharbeiter, der neben seiner Muttersprache kurdisch inzwischen fließend Deutsch und Englisch spricht – sowie natürlich Arabisch.
Letztere lernte er in der Schule im syrischen Malekiye. Dort wurde in Arabisch unterrichtet – der erste Kontakt für den damals sechsjährigen Kurden mit einer fremden Sprache. „Ich verstand kein Wort und musste schnell lernen“, erinnert sich Osama. Eine Eigenschaft, die ihm auch in Deutschland zugutekommt. Ausbilder Meyer, gerade einmal zehn Jahr älter als sein Azubi, attestiert ihm vermeintlich typisch deutsche Eigenschaften, wie Pünktlichkeit und eben Ehrgeiz.
Meyer ist es auch, der dem Lernwilligen bei der Wohnungssuche hilft. Nach gefühlt hunderten Absagen und einem Jahr trostloser Suche, findet Osama eine Zweizimmer-Wohnung im 13 Kilometer entfernten Burgstall. Bis dahin pendelte er fast zwei Jahre lang zwischen Feuerbach und Backnang. Ohne eigenes Auto und auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, summierten sich die Fahrzeiten auf teils drei Stunden täglich. Verspätungen nicht mit eingerechnet.
Mittlerweile steht ein Opel Astra vor der Türe, Baujahr 2010. Osama ist angekommen im Land der Autobauer, seiner neuen Heimat. Und liefert gleichzeitig ein gutes Beispiel für gelungene Integration. Sein Vorbild ist Muhterem Aras, die hiesige Landtagspräsidentin ist wie Osama Kurdin, wie ihr Name verrät. Der „Aras“ ist ein in der Türkei entspringender Fluss, der ins kaspische Meer fließt. Und sich damit über die Heimat vieler Kurden erstreckt. Osama würde Frau Aras gerne einmal kennen lernen, um ihr sagen, wie stolz er auf sie ist.