Landrat sollte Kant kennen
Keine Hochschule im Kreis erwünscht
Kant hat Recht. Der kategorische Imperativ sollte für alle gelten. Auch und besonders für lokale Politiker. Doch das tut er nicht, wie am Beispiel von Dr. Richard Sigel dieser Tage ersichtlich wird. Denn der Landrat handelt nicht nach der Maxime, die besagt, dass eigenes Handeln zugleich allgemeines Gesetz werden kann.
Was ist geschehen? Der Landrat lädt in vorweihnachtlicher Beseeltheit zu einer Veranstaltung ein, um das „Ulmer Modell“ vorzustellen. Hierbei handelt es sich um eine hybride Ausbildung; angehende Mechatroniker können neben dem Gesellenbrief einen Bachelor-Abschluss erwerben, wenn sie ein Jahr länger lernen. Dazu sollen sie nach Ulm in die Uni.
Das ist selbstschädigendes Verhalten. Nur, dass der Selbstschaden nicht Dr. Sigel persönlich trifft, sondern den Rems-Murr-Kreis. Denn der ist im ganzen Land der einzige ohne Hochschule, und das im 21. Jahrhundert, im Zeitalter der Wissensgesellschaft.
Und was macht der Landrat? Statt für eine eigene Akademie zu werben – oder noch besser – eine zu gründen, kommt der müde Verweis auf die Berufsschulen, die fürs Ulmer Modell parat stünden. Das ist, mit Verlaub, feudales Landgrafgehabe: Den engen Blick nur auf die Trägerschaft gerichtet.
Den eigenen Horizont fest im Blick: Rems-Murr-Landrat Sigel.
Baden-Württemberg wird eine enorme Umwälzung erfahren. Massenhaft müssen Mitarbeiter umgeschult und qualifiziert werden, wenn das Autoland die Herausforderung neue Mobilität meistern will.
Wie das geht, können Lokalpolitiker im Handelsblatt nachlesen. Dort wird jüngst eine Akademie für IT-Spezialisten vorgestellt. Gründer ist VW. Das Angebot der Fakultät 73 richtet sich an Umschüler, Studienabbrecher und Bewerber mit Berufsausbildung. Ein Studium wird nicht vorausgesetzt, nur eine Affinität zur IT sollte gegeben sein.
Das Interesse ist enorm. 1500 Bewerber reißen sich um 100 Plätze. Sogar Bundesarbeitsminister Hubertus Heil findet das Projekt lobenswert: Es schließe eine Lücke, lässt er sich zitieren. Dabei sind die Wolfsburger nicht mal Vorreiter. Zulieferer Conti hat bereits 2016 ein ähnliches Modell ins Leben gerufen. Die Konzerne haben verstanden: Die Welt wird digital. Um diesen Wandel zu bewerkstelligen, brauchen sie Fachkräfte, die in der eigenen Akademie, direkt im Unternehmen, ausgebildet sind. Das ist wie ein Gesetz.
Und was kann der Landrat daraus lernen? Kant lesen.